Vielen Dank für diesen extrem guten Kommentar! Als Disney-Comic-Fan und damit mehr oder weniger zwingend auch Egmont-Kritiker habe ich mir das meiste davon natürlich schon vorher gedacht, aber ich wäre wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen, das alles so kompakt und stimmig niederzuschreiben.
Das erste Hauptproblem der ganzen Sache – das Grundproblem – ist, dass Egmont kein Interesse hat. An gar nichts. Außer Geld. Der Satz „Man bekommt den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Egmont Ehapa ihre Comics ausschließlich als Produkte sehen und nicht auch als Kunst oder Kultur“ ist der wichtigste des ganzen Textes und trifft die ganze leidige Angelegenheit auf den Kopf. Das Thema des Desinteresses kommt im Text zwar mehrmals vor, ich würde aber trotzdem sagen, es hat es verdient, noch weiter hervorgehoben zu werden, weil es so grundlegend ist; unter anderem ist Desinteresse der Grund für alle vier im Text behandelten Thesen.
Es ist höchst fragwürdig, ob irgendwer bei Egmont überhaupt Disney-Comics
liest. Der endgültige Beweis dafür wurde mit den Buchrücken der Enten-Edition gebracht, die seit Anbeginn der Reihe stets abwechselnd verschiedene Farben hatten, zweimal sogar Holzdesigns. Seit Band 53 waren die Buchrücken plötzlich nur noch weiß. Nach Erscheinen von Band 58 meinte pet dann, das sei der Redaktion nicht aufgefallen, „weil wir hier die Bücher immer in einem Front-Display haben“. Dass das Erstellen der Bände so lieblos geschieht, dass nicht einmal auf den Buchrücken geguckt wird, bevor das Buch in den Druck geht, ist schon schlimm genug, aber dass KEINER in der Redaktion sich mehr als eine dieser sechs Enten-Editionen ins Regal gestellt hat und das bemerkt hat, verrät dann das volle Ausmaß des Problems. Alles was Egmont macht und alles, was Egmont kommuniziert – Soziale Medien, sonstige Webpräsenzen, die Bücher selbst ... alles schreit geradezu „Unser Zeug ist irrelevanter Scheißdreck für Kinder und Debile, wir haben damit eigentlich nichts zu tun, wir scheffeln nur Kohle mit dem Müll“. Die Einstellung von Egmont zu den Comics ist mit „herablassend“ am besten beschrieben.
Das zweite Hauptproblem – eigentlich ein Unterproblem des Grundproblems – ist die Leserschaft. In ihrer jetzigen Zusammensetzung erlaubt sie es Egmont nämlich, mit der oben beschriebenen Haltung durchzukommen. Hierzu möchte ich erstmal ausholen und etwas feststellen, was meiner Ansicht nach sehr offensichtlich ist, aber, so scheint mir, noch nie von jemand anderem niedergeschrieben wurde: Der astronomisch große und auf der Welt wohl einmalige Kontrast zwischen Beliebtheit, Verbreitung und Bekanntheit von Disney-Comics an der Oberfläche und der Anzahl auch jenseits der Oberfläche interessierter Fans von Disney-Comics.
Wie verbreitet sind Disney-Comics? Ich würde sagen, sie sind die mit Abstand erfolgreichste Comicserie (um den Begriff lose zu verwenden) und unter den erfolgreichsten Literaturserien überhaupt. In Europa sind Disney-Comics enorm bekannt. Aku Ankka war 2013 das meistverkaufte Magazin überhaupt in Finnland, und das Lustige Taschenbuch verkauft sich in Deutschland besser als viele bekannte Nachrichtenmagazine. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zumindest in seiner Kindheit Disney-Comics gelesen hat, ist sehr hoch. Ich würde sagen,
mindestens ein Achtel der Bevölkerung Europas – ausgenommen Spanien, das Vereinigte Königreich, Irland, Russland und Südosteuropa – ist auf irgendeine Weise vertraut mit Disney-Comics.
Aber wer kennt sich mit Disney-Comics aus? Bei so vielen Menschen, die sich oberflächlich mit Disney-Comics befassen, müsste doch auch die Zahl derer, die sich auch tiefergehender damit beschäftigen, ziemlich hoch sein. Schließlich ist der Weg dahin lächerlich kurz – einmal den Namen des Zeichners, der unten auf der ersten Seite steht, bei Google eintippen, und schon hat man seinen Einstiegspunkt. Ich erinnere mich noch daran, dass die dänische Geschichte aus meinem ersten LTB noch unidentifiziert war, als ich den Inducks das erste mal besucht hatte. Ich muss also innerhalb weniger Wochen dort gewesen sein. Aber anscheinend war ich da die Ausnahme und von den hunderttausenden Lesern hat sonst niemand Lust darauf. Im Inducks gibt es über 6000 Benutzer mit registrierten Sammlungen. Ich gehe mal davon aus, dass fast jeder in Foren aktive Nutzer dort zu finden ist, aber es gibt sicherlich noch einige Fans, die Foren zwar lesen und den Inducks benutzen, sich aber nicht aktiv einbringen. Ich bin mal sehr großzügig und sage, dass es zwischen 20'000 und 30'000 Leute gibt, die in die Disney-Comic-Welt eingetaucht sind. Das ist, wie gesagt, angesichts der sehr viel größeren Menge an „Oberflächenfans“ absurd wenig. Ich verwette meinen Allerwertesten, dass es kein Thema auf dieser Welt gibt, bei dem der Kontrast zwischen diesen beiden Gruppen so enorm ist.
Es liegt sicher nicht daran, dass den Leuten das Hintergrundwissen zu Disney-Comics einfach zu langweilig und unnütz wäre. Es gibt draußen enorm viele Leute, die aktiv Disney-Comics lesen und viel Geld und auch Zeit in ihre Sammlung investieren, ohne zur „Community“ zu gehören. Will mir jemand erzählen, diese Leute hätten kein Interesse an Hintergrundinformationen? Natürlich hätten sie, aber sie wissen ja nicht einmal, dass es so was gibt. Die Verlage versäumen es hier, die Disney-Comic-Welt nach außen zu kehren und die Leser einzuweihen. Das wäre auch zu ihrem Vorteil, denn ein interessierter Fan investiert mehr Geld in sein Hobby als ein Ich-hab-n-Stapel-LTBs-neben-dem-Klo-und-die-sind-lustig-Fan. Und auch, wenn man hier allen Verlagen Vorwürfe machen muss, ist Egmont, der zudem mit Deutschland, Skandinavien und Polen auch den größten Markt abdeckt, hier sicherlich der am schwersten schuldige.
Stellen wir uns mal vor, das wäre nicht so und Disney-Comics hätten eine angemessen große und interessierte Fanbase. Was für einen Einfluss hätte das auf Egmont in seiner jetzigen Form? Einen katastrophalen – die hohle, oberflächliche Art und Weise, wie Egmont die Comics präsentiert, würde von den Fans verlacht und massenhaft kritisiert werden, so dass Egmont es nicht mehr ignorieren könnte. Aber momentan haben Disney-Comics keine angemessen große und interessierte Fanbase, sondern eine vollkommen isolierte kleine Fangemeinde auf wenigen Internetseiten und parallel dazu ein paar Muttis auf Facebook, die Emojis unter ein Donald-Bild aus einem Cartoon posten. Was Egmont bei der Insel der Mythen abgezogen hat, wäre in jedem anderen Gebiet ihr Tod gewesen, bei Disney-Comics kriegt es keiner mit und selbst der grösstmöglichste Skandal bleibt am Ende ein Sturm im Wasserglas, den man mit ein paar schnell ausgefüllten E-Mail-Vorlagen und einem durch den Scanner geschickten Micky-Maus-Heft abwiegelt, und selbst das nur, weil man grad gute Laune hat. Und deshalb denkt Egmont, das ja momentan alles gut ist – die Leserschaft kauft genug und sie kauft unkritisch, kein Bedarf zur Veränderung. Egmont sieht gar keinen Grund, die im Text von 313er genannten Probleme tatsächlich als Probleme zu sehen.
Sonstige Anmerkungen zum Text:
Ich hätte noch eine fünfte These anzubieten: Egmont ist lausig in Sachen Werbung und Distribution. Und mit lausig meine ich richtig, richtig schlecht. Es ist ein Witz, dass Egmont die Fortführung von beispielsweise dem TGMM von Verkaufszahlen abhängig macht, wenn erstens so gut wie gar nicht geworben wird und zweitens nur jeder dreißigste Kiosk das Heft auch tatsächlich vorrätig hat. Wie zum Teufel soll man so überhaupt von der Existenz dieses Heftes erfahren? Früher gab es noch richtige Fernsehwerbung für LTBs (Beispiele:
hier,
hier und
hier), heute wird mit nichts als Abbildung, Namen und Erscheinungsdatum von Buch zu Buch verwiesen. Und es scheint auch einfach keiner bei Ehapa genug Grips zu haben, um zu verstehen, dass sich Reihen wie Donald Duck & Co und das TGDD deshalb nicht verkaufen, weil es sie nirgendwo zu kaufen GIBT.
Ich muss anmerken, dass sich der Abdruck desselben Comics innerhalb kurzer Zeit nicht immer auf die Trennung zwischen Buchhandels- und Kioskbereich zurückführen lässt. „
Das Pokalspiel“ erschien im Micky Maus präsentiert 31 und fünf Tage später im TGDD Spezial 29.
Auf dem Twitteraccount des Lustigen Taschenbuchs, der ja mittlerweile zum Glück inaktiv ist, kann man übrigens folgendes Meisterwerk der Komik begutachten:
https://twitter.com/LTB_Entenhausen/stat...6440603648 Klarabella feiert also am 15. Mai 2018 ihren 90. Geburtstag, weil der Kurzfilm „Plane Crazy“, in dem sie zusammen mit Micky und Minni auftritt, am 15. Mai 1928 eine Testvorführung hatte, keinen Distributor fand und erst nächstes Jahr offiziell veröffentlicht wurde. Aber müssten dann nicht konsequenterweise auch Micky und Minni am 15. Mai 2018 ihren 90. Geburtstag feiern? Das wäre problematisch, wo doch Egmont deren Geburtstag doch seit Jahrzehnten am 18. November feiert. Am 18. November 1928 wurde nämlich das erste mal der Film „Steamboat Willie“ mit Micky, Minni, Karlo und Klarabella vorgeführt – und zwar offiziell. Der arme Praktikant ist nun also in diese heikle Situation geraten, wo ausgerechnet er, der sich nicht weniger für die Materie interessieren könnte, diesen Fehler ausbügeln muss. Wie löst er das nur? Er verwandelt sich plötzlich in einen Disney-Experten und unterrichtet uns, dass das so „gesetzt“ wurde (von wem?), weil ... na weil auf Steamboat Willie der große Durchbruch folgte! Hä? Macht das Sinn? Nein, aber der arme Praktikant hat die Situation erfolgreich gelöst und kann jetzt endlich in die Kaffeepause! Vielleicht geht es nur mir so, aber ich finde das urkomisch
Die „Zeitleiste“ aus dem Lifestyle-Magazin kannte ich noch gar nicht ... Von all den vielen lächerlichen Sachen, die Egmont uns vorgesetzt hat, muss das ohne Übertreibung der Höhepunkt sein. Und das heisst was.
: Du behauptest „Das mit den gekürzten Geschichten liegt nicht daran, dass es keiner weiß oder es keinen interessiert“. Aber wenn „wäre wohl zu teuer und zu aufwendig, Zentrale machts wohl nicht“ nicht unter „es interessiert keinen fällt“: Was dann? Niemand, den es tatsächlich interessiert, würde deinen Ansatz „Ich selbst würde entsprechende Storys dann aber auch gar nicht erst reinnehmen, wenn die nicht in einer gescheiten Fassung vorliegen“ nicht teilen. Und dann ist da noch das Problem der Intransparenz.