26.10.2021, 19:20
Es gibt ja im Schreikasten eine auffallend rege Diskussion über die Postmoderne, ich dachte, ich verlege sie aufgrund der Komplexität der Thematik in diesen Thread.
Der ganzen Debatte um die Postmoderne/den Postmodernismus liegt das Problem zugrunde, dass der Begriff ein sehr weites Bedeutungsspektrum hat. Einerseits bezeichnet er eine architektonische Strömung, andererseits eine aus der bildenden Kunst, er wird als historische Epoche verstanden, als kulturelle Dominante im Spätkapitalismus (wie bei Fredric Jameson) und natürlich auch als eine philosophische Theorie. Problematisch ist an der Stelle, dass der Begriff der Postmoderne im letzteren Kontext vor allem durch seine Kritiker geprägt wurde, die ihm, wie bereits in der Konversation erwähnt, "Relativismus, die Skepsis gegenüber den Konzepten von Vernunft und Wahrheit, Subjektivismus, etc." (Luk) vorwarfen. Begonnen hat das vor allem mit Jürgen Habermas, der den französischen Theoretikern, vor allem natürlich Michel Foucault, in "Der philosophische Diskurs der Moderne" vorwarf, eine gelehrsam-positive Geschichtsschreibung zu vertreten, die als Anti-Wissenschaft auftritt. Während Habermas noch als "linker" Kritiker die Postmodernen als "Neokonservative" deklarierte, wurde das bald zu einem Kritikpunkt, der vor allem von rechts an Foucault, Derrida, Lyotard etc. herangetragen wurde, zum Beispiel von Stephen Hicks in "Explaining Postmodernism: Skepticism and Socialism", von Jordan B. Peterson in diversen YouTube-Videos und seinen Lebensratgebern, von James Lindsay in verschiedenen Online-Artikeln. Und natürlich findet man auch in Artikeln des NZZ- und FAZ-Feuilletons regelmäßig Artikel darüber, wie Foucault und Derrida, die gegen Wahrheit und Logik argumentiere, für den moralischen und kulturellen Relativismus verantwortlich seien! Dieser Artikel ist ein besonders absurdes Beispiel der jeglicher Fachkenntnis entbehrt ... Das abstruse daran ist, dass man wirklich selten wirkliche Verweise auf spezifische postmoderne Werke findet ... es wirkt fast so, als ergäbe sich jegliche Kenntnis über die Postmoderne aus mittelmäßiger Sekundärliteratur? Daraus ergibt sich auch das vorherrschende Paradigma: "Man muss weder Foucault, Derrida noch Lyotard gelesen haben, die waren ja schließlich gegen Logik und Wahrheit und Objektivität sowieso. Das habe ich zumindest mal in der Zeitung gelesen oder im Radio gehört. Und ohnehin, gab's da nicht Missbrauchsvorfälle bezgl. Foucault?" Das ist natürlich ziemlich schade, weil das den Gehalt des eindrucksvollen Werks der Postmodernen verzerrt. Ja, Dekonstruktivisten und Postmoderne haben bestimmte wissenschaftliche Methoden kritisiert, aber nach einem moralischen Relativismus zum Beispiel wird man bei Foucault lange suchen.
Ach ja:
"Wenn du deine kostbare Zeit damit verbringen willst, ellenlange Bücher von Postmodernisten, Fideisten, Presuppositionalisten etc. zu lesen, die in pseudointellektueller hochgestochener Sprache darüber schwafeln, wie blöd doch Naturwissenschaft ist, kannst du das gerne machen. Ich machs nicht." (Luk)
Genau. Und Hegel und Marx les ich auch nicht, denn die waren ja totalitär. Genau wie Nietzsche und Heidegger, schließlich waren das ja Nazis. Und was ist mit Aristoteles? Hat der nicht die Sklaverei befürwortet? Woher ich das weiß? Äh ...
Wie schön wäre es, wenn man nur etablieren könnte, dass man sich mit etwas ausgiebig auseinandersetzt, bevor man es kritisiert.
"Im Endeffekt ist es völlig egal, weil das Tolle an Naturwissenschaften ist, dass es ganz egal ist, ob man dran glaubt oder nicht, sie bleiben trotzdem wahr." (Luk)
Herrjeh ... Das ist doch mal ein guter Ansatzpunkt, um sich ein wenig ausgiebiger mit Wissenschaftstheorie, Metaphysik und Epistemologie auseinanderzusetzen ...
Topolino schrieb:: Was hast du gegen die NZZ?
Floyd schrieb:Einerseits gibt es einfach grundsätzliche politische Differenzen: die NZZ hat ein neoliberal-rechtskonservatives Profil, ich positioniere mich im linken Spektrum. Andererseits ist die NZZ, neben der FAZ, dafür bekannt, postmoderne Theorie, Queerfeminismus, Dekonstruktion und die Queer-/Gender-Theorie stark anzugreifen - und das in der Regel ohne Kenntnis von der Materie. Nehmen wir diesen Artikel über Identitätspolitik. Dort schreibt die Autorin über die Postmoderne:
NZZ schrieb:Diese unter anderem von Michel Foucault, Jacques Derrida und Jean-François Lyotard beeinflusste Strömung wurde im Englischen ursprünglich bloss als «Theory» bezeichnet und fusste auf radikalem Skeptizismus gegenüber objektiver Wahrheit, auf der Vorstellung von Objektivität als sozialem Konstrukt sowie von Wissen und Macht als Form von Herrschaft.Das ist faktisch einfach falsch und fußt auf der Fehlinterpretation Habermas' der postmodernen Theoretiker in "Der philosophische Diskurs der Moderne". Ich bezweifle, dass die Autorin Foucault, Derrida und Lyotard überhaupt gelesen hat. (Das bedeutet jedoch natürlich nicht, dass ich Politische Korrektheit und Wokeness immer unterstützenswert finde ...)
Luk schrieb:Das Problem in diesem Beispiel sehe ich jetzt nicht. Es wird gesagt, dass die Postmoderne von diesen Philosophen beeinflusst wurde. Und wenn die Definition von Postmodernismus faktisch falsch ist, dann ist diese faktisch falsche Definition aber sehr sehr sehr verbreitet. Alle möglichen Lexika sind sich einig, dass einer der Kernpunkte des Postmodernismus der Relativismus, die Skepsis gegenüber den Konzepten von Vernunft und Wahrheit, Subjektivismus, etc. ist. So wird dieser Begriff nun mal verwendet, obs einem passt oder nicht.
McDuck schrieb:Die Skepsis bezieht sich mW auf den Objektivismus (anders herum wäre es ja auch merkwürdig) und das ganz zu recht. Was ist denn schon "wahr" und "objektiv" – solche Begriffe sind in den Geistes- und Sozialwissenschaften meist nur Kampfbegriffe einer strukturkonservativen Schicht an Wissenschaftlern, die ihre eigenen wissenschaftlichen Ausgangspunkte nicht mitreflektieren und als allgemein anerkannt positionieren wollen.
Primus schrieb:Vielleicht mal etwas Primärliteratur lesen,? Dann ist das mit dem Rechthaben viel einfacher.
Luk schrieb:Rechthaben in Schreikastendiskussionen ist mir nicht wichtig genug, als dass ich meine Zeit damit verschwenden würde, mich mit weithin als antiwissenschaftlich bekannten „Philosophien“ zu beschäftigen. Gerade in den heutigen Zeiten, in denen Wissenschaft ständig von allen Seiten angefeindet wird, halte ich es nicht für nötig, mich mit einer Ideologie zu befassen, die unter anderem durch „Science wars“, „Wissenschaftskritik“ und ähnlichen Blödsinn bekannt geworden ist. Ich muss auch nichts von Kierkegaard gelesen haben, um mit hundertprozentiger Überzeugung sagen zu können, dass „Fideismus“ mit das Gefährlichste und Dümmste ist, das ich je gehört habe. Erstaunlich, dass das für euch so kontrovers ist.
McDuck schrieb:Ich habe aber nicht von Naturwissenschaften gesprochen. Wäre mir recht, wenn du bei meinen Beispielen bleibst. Einfach weil ich postmoderne Kritik an Geistes- und Sozialwissenschaften sehr sinnvoll finde. Ich diskutiere auch wesentlich weniger gern über das Wissenschaftsverständnis der Naturwissenschaften, weil ich da sicher bald an Grenzen meines Wissens stoße. Die Art, wie Erkenntnisse der Naturwissenschaften von irgendwelchen Leuten angezweifelt werden, finde ich entweder erbärmlich, gefährlich oder zum Schreien. Je nachdem. Aber ich nehme an, das weißt du auch.
Primus schrieb:Comics sind übrigens auch total blöd. Das weiß ich, weil ich nie welche lese.
Luk schrieb:@19:14 Du hast nicht von Naturwissenschaften gesprochen, und ich habe nicht von Geistes- und Sozialwissenschaften gesprochen. Ich habe gesagt, dass Postmodernismus die Naturwissenschaft kritisiert – eine weithin bekannte Tatsache – und genau das angeprangert. @19:16 Was besseres ist dir nicht eingefallen? Wenn du deine kostbare Zeit damit verbringen willst, ellenlange Bücher von Postmodernisten, Fideisten, Presuppositionalisten etc. zu lesen, die in pseudointellektueller hochgestochener Sprache darüber schwafeln, wie blöd doch Naturwissenschaft ist, kannst du das gerne machen. Ich machs nicht. Im Endeffekt ist es völlig egal, weil das Tolle an Naturwissenschaften ist, dass es ganz egal ist, ob man dran glaubt oder nicht, sie bleiben trotzdem wahr.
Der ganzen Debatte um die Postmoderne/den Postmodernismus liegt das Problem zugrunde, dass der Begriff ein sehr weites Bedeutungsspektrum hat. Einerseits bezeichnet er eine architektonische Strömung, andererseits eine aus der bildenden Kunst, er wird als historische Epoche verstanden, als kulturelle Dominante im Spätkapitalismus (wie bei Fredric Jameson) und natürlich auch als eine philosophische Theorie. Problematisch ist an der Stelle, dass der Begriff der Postmoderne im letzteren Kontext vor allem durch seine Kritiker geprägt wurde, die ihm, wie bereits in der Konversation erwähnt, "Relativismus, die Skepsis gegenüber den Konzepten von Vernunft und Wahrheit, Subjektivismus, etc." (Luk) vorwarfen. Begonnen hat das vor allem mit Jürgen Habermas, der den französischen Theoretikern, vor allem natürlich Michel Foucault, in "Der philosophische Diskurs der Moderne" vorwarf, eine gelehrsam-positive Geschichtsschreibung zu vertreten, die als Anti-Wissenschaft auftritt. Während Habermas noch als "linker" Kritiker die Postmodernen als "Neokonservative" deklarierte, wurde das bald zu einem Kritikpunkt, der vor allem von rechts an Foucault, Derrida, Lyotard etc. herangetragen wurde, zum Beispiel von Stephen Hicks in "Explaining Postmodernism: Skepticism and Socialism", von Jordan B. Peterson in diversen YouTube-Videos und seinen Lebensratgebern, von James Lindsay in verschiedenen Online-Artikeln. Und natürlich findet man auch in Artikeln des NZZ- und FAZ-Feuilletons regelmäßig Artikel darüber, wie Foucault und Derrida, die gegen Wahrheit und Logik argumentiere, für den moralischen und kulturellen Relativismus verantwortlich seien! Dieser Artikel ist ein besonders absurdes Beispiel der jeglicher Fachkenntnis entbehrt ... Das abstruse daran ist, dass man wirklich selten wirkliche Verweise auf spezifische postmoderne Werke findet ... es wirkt fast so, als ergäbe sich jegliche Kenntnis über die Postmoderne aus mittelmäßiger Sekundärliteratur? Daraus ergibt sich auch das vorherrschende Paradigma: "Man muss weder Foucault, Derrida noch Lyotard gelesen haben, die waren ja schließlich gegen Logik und Wahrheit und Objektivität sowieso. Das habe ich zumindest mal in der Zeitung gelesen oder im Radio gehört. Und ohnehin, gab's da nicht Missbrauchsvorfälle bezgl. Foucault?" Das ist natürlich ziemlich schade, weil das den Gehalt des eindrucksvollen Werks der Postmodernen verzerrt. Ja, Dekonstruktivisten und Postmoderne haben bestimmte wissenschaftliche Methoden kritisiert, aber nach einem moralischen Relativismus zum Beispiel wird man bei Foucault lange suchen.
Ach ja:
"Wenn du deine kostbare Zeit damit verbringen willst, ellenlange Bücher von Postmodernisten, Fideisten, Presuppositionalisten etc. zu lesen, die in pseudointellektueller hochgestochener Sprache darüber schwafeln, wie blöd doch Naturwissenschaft ist, kannst du das gerne machen. Ich machs nicht." (Luk)
Genau. Und Hegel und Marx les ich auch nicht, denn die waren ja totalitär. Genau wie Nietzsche und Heidegger, schließlich waren das ja Nazis. Und was ist mit Aristoteles? Hat der nicht die Sklaverei befürwortet? Woher ich das weiß? Äh ...
Wie schön wäre es, wenn man nur etablieren könnte, dass man sich mit etwas ausgiebig auseinandersetzt, bevor man es kritisiert.
"Im Endeffekt ist es völlig egal, weil das Tolle an Naturwissenschaften ist, dass es ganz egal ist, ob man dran glaubt oder nicht, sie bleiben trotzdem wahr." (Luk)
Herrjeh ... Das ist doch mal ein guter Ansatzpunkt, um sich ein wenig ausgiebiger mit Wissenschaftstheorie, Metaphysik und Epistemologie auseinanderzusetzen ...