(05.01.2022, 21:36)Ducky Tales schrieb: [ -> ]Zitat:Zensur (oder wie immer wir das nennen wollen)
Nennen wir es redaktionelle Änderungen :)
Zitat:Entspricht das Kunstwerk nicht mehr dem Zeitgeist oder ist es nicht mehr zeitgemäß, dann ist es zu zensieren
Wer handelt bitte nach dieser Maxime? Und wie kommst du bitte darauf, dass das die Maxime ist, nach der Leute handeln?
Ich empfinde diese Einschätzung als zu oberflächlich gedacht. Es geht hierbei um mehr als nur dem Zeitgeist zu entsprechen. Es ist eine Entscheidung aus der Entwicklung historischer Gegebenheit, der aktuellen politischen Situation auf der Welt so wie viele anderen weiteren Gegebenheiten (auch aus wirtschaftlicher Sicht), die zu dieser Entscheidung geführt haben. So eine lapidar formulierte Maxime passt dazu nicht als Erklärung.
Zitat:Das jedoch ist für die Bewertung der Maxime ebenfalls irrelevant, denn nicht das Ergebnis einer Tat ist für die Bewertung von Interesse, sondern allein das Handlungsmotiv
Natürlich ist das Ergebnis einer Tat von Interesse. Es kommt trotz meines Motivs am Ende auch darauf an, was herauskommt.
Und selbst wenn nur das Handlungsmotiv von Interesse wäre, würde das an meiner Aussage nichts ändern und deinen Vergleich unpassend machen. Während das Motiv der Taliban darin liegt, Kunstwerke für immer zu zerstören, will Disney/ehapa nur sein familienfreundliches Image wahren, das Werke schafft, die für jeden ansprechbar sind. Darin liegt ein großer Unterschied.
Zitat:Was Kunst darf und was nicht, bestimmt allein das Strafgesetzbuch. Alles andere muss unantastbar bleiben. Ohne jede Ausnahme.
Das heißt, wenn das Strafgesetzbuch bestimmt, dass Kunst dem Zeitgeist angepasst werden muss, stimmst du dem zu?
Zitat:Einen Text, der übrigens immer ein Kunstwerk darstellt, wie überhaupt alles, was schöpferisch und kreativ ist, auch immer zugleich auch Kunst ist ( mag sie auch noch so schlecht sein),
Nun denn, dann ist diese Neutextung ja auch Kunst. Also sollte man den Willen des Künstlers respektieren und diesen Text so akzeptieren wie er ist. Oder etwa nicht?
Zu 1.) Es ist, wie gesagt, irrelevant, ob wir das Zensur oder redaktionelle Änderung nennen. Entscheidend ist, dass ein Kunstwerk in seiner Darstellung ohne Einwilligung des Künstlers einer Norm unterworfen wurde, welche die Originalität zerstörte. Und ein Text ist, wie jedes Kunstwerk, nur dann geschützt, wenn es unangetastet bleibt - es sei denn, es geschieht mit Einwilligung des Künstlers.
Zu 2.) Wer nach dieser Maxime handelt, ist hier doch offensichtlich: Diejenigen, die den Originaltext änderten. Und wie ich darauf komme? Ganz einfach: Ehapa hat es doch genau so begründet: der Zeitgeist verlangt es. Das ist die Handlungsmaxime. Die habe ich ganz exakt formuliert. Und der Zeitgeist (Achtung: Argument) ist immer die Summe politischer und gesellschaftlicher Situationen. Ich habe also nicht "lapidar" formuliert, sondern die Umstände klar und verständlich formuliert. Und Du hast mir ja sogar zugestimmt, in dem auch Du "politische und gesellschaftliche Situationen" geltend machst. Und egal, ob wir das nun Zeitgeist nennen oder "politische und gesellschaftliche Situationen", es läuft aufs selbe hinaus.
Zu 3.) Nein! Das Ergebnis einer Handlung darf nie relevant sein für die Bewertung einer Handlung. Ich will es gerne moralphilosophisch begründen:
Stell Dir vor, ich überfalle morgen eine Bank. Das Geld, was ich erbeutet habe, verteile ich hinterher an Obdachlose oder spende es zu 100% einer wohltätigen Organisation. Niemand kam zu schaden, die Bank kann das bisschen Geld, was ihr verlustig ging, ohne wirtschaftliches Risiko verkraften und viele Menschen wurde durch das verteilte Geld glücklich gemacht. Ergebnis meiner Handlung: durchweg positiv. Wenn also nur das Ergebnis einer Handlung zählt, dann wird dadurch die Tat legitimiert. Das nennt man eine utilitaristische Handlungsethik: Gut ist, was nützlich ist.
Du wirst mir zustimmen müssen, dass eine solche Ethik weder brauchbar noch wünschenswert ist.
Anderes Beispiel: Ein Nichtschwimmer beobachtet vom Ufer eines Sees, wie jemand ertrinkt. Das einzige, was der Nichtschwimmer tun kann, ist loszurennen, um Hilfe herbeizuholen. Während dessen ertrinkt jedoch die Person und ist tot. Ergebnis der Handlung des Nichtschwimmers, dem es nicht gelungen ist, rechtzeitig Hilfe zu holen: ein toter Mensch. Wenn wir allein nach dem Ergebnis der Handlung diese Tat, nämlich der Versuch, Hilfe herbeizuholen, bewerten wollen, dann kommen wir zu einem negativen Ergebnis.
Daraus folgt: Nicht das Ergebnis einer Handlung ist von entscheidender Bedeutung für die moralische Bewertung, sondern allein der Wille, der sich aus der Maxime meiner Handlung definiert. Es zeugt nicht von einem guten Willen, gesetzeswidrig eine Bank zu überfallen, egal ob der Bankräuber das Geld nun behält oder an Bedürftige verteilt. Es zeugt aber von einem guten Willen, alles menschenmögliche zu tun, um einen Ertrinkenden zu retten - und wenn es nur der Versuch, Hilfe zu organisieren. Das Ergebnis muss(!) für die Bewertung einer Handlung unberücksichtigt bleiben.
Und bevor Du das alles abstreiten willst, nenne ich Dir gerne meine Quelle, in der Du das alles nachlesen kannst:
Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten
https://www.projekt-gutenberg.org/kant/s...ap002.html
Zu 4.) Wir haben in diesem Lande ein Grundgesetz, das die Freiheit der Kunst als uneingeschränkt gewährt, und zur Freiheit der Kunst gehört auch die Unantastbarkeit der Kunst, es sei denn, es liegen verfassungsimmanente Bedenken oder gar Einschränkungen vor. Das Strafgesetzbuch definiert diese Einschränkungen, zum Beispiel wenn diese Art der Kunst geeignet ist, den Frieden im Lande zu stören (§ 130 StGB - Volksverhetzung, Aufruf zum Hass oder zur Gewalt., Darstellung verfassungsfeindlicher Symbole), wenn diese Art der Kunst verleumderisch oder gar beleidigend (§§ 185, 187). Das Strafgesetzbuch sagt nicht aus, was man tun darf, sondern das, was man nicht tun darf. Ein Strafgesetzbuch enthält keine Gebote, sondern Verbote.
Natürlich verbietet das Strafgesetzbuch dem Ehapa-Verlag nicht, einen Erika-Fuchs-Text zu ändern. Die Frage, ob man das tun sollte oder nicht (also diesen Text einer Zensur bzw. einer "redaktionellen Änderung" zu unterwerfen) ist keine juristische Frage, sondern eine ethische. Ich wollte mit meinem Exkurs auf das Strafgesetzbuch nur zum Ausdruck bringen, dass dies allein der Gradmesser dafür ist, was Kunst nicht darf.
Zu 5:) Ich gebe Dir vollumfänglich Recht, wenn Du sagst, dass eine Neutextung ein Kunstwerk ist . Warum sollte es auch anders sein? Aber wir haben es bei dem geänderten Fuchs-Texten nicht mit einem Neutext zu tun, sondern mit einer Änderung des bestehenden Textes ohne Zustimmung des Autors. Das ist etwas vollkommen anderes. Um einen Neutext würde es sich handeln, wenn die alten Barks-Geschichten von Grund auf neu übersetzt werden würden. Niemand hat das moralische Recht, ein Kunstwerk durch ein neues zu ersetzen. Wo kämen wir denn dahin? Das würde ja bedeuten, die Mona Lisa aus dem Louvre zu holen, um es zu übermalen und ein neues Kunstwerk zu erschaffen. Ich kann nicht ernsthaft glauben, dass Du mir das hier als Argument verkaufen willst. Das war doch sicherlich nur ein Scherz, oder?
Zusammenfassung: Es geht mir nicht darum, die Frage zu erörtern, ob das Ändern eines bestehenden Textes, also eines Kunstwerkes, juristisch legitim ist. Mir geht es um die moralische Bewertung. Und ich komme zu dem Ergebnis, dass es moralisch verwerflich ist, so etwas zu tun. Und ich glaube, ich habe in meinen zahlreichen Beiträgen verifizierbar zum Ausdruck gebracht, warum ich zu diesem Ergebnis gekommen bin. Ich verlange keinesfalls, dass Du meine Meinung teilst. Aber ich bitte Dich, meine Prämissen und meine Schlussfolgerung, also meine Argumente zu respektieren. Und es wäre wünschenswert, wenn Du das auch bei den anderen Diskutanten respektieren würdest. Ich finde nämlich, dass die ihren Standpunkt ebenfalls sehr stringent und argumentativ begründet haben.
Beste Grüße
Matthias